BVerfGE 80, 137 - Reiten im Walde |
1. Ist im Verfassungsbeschwerde-Verfahren mittelbar zu prüfen, ob eine landesgesetzliche Vorschrift mit (einfachem) Bundesrecht vereinbar ist, so hat das Bundesverfassungsgericht das Bundesrecht selbst auszulegen; es ist insoweit nicht auf die verfassungsrechtliche Nachprüfung der Auslegung des Fachgerichts beschränkt. |
2. Eine landesgesetzliche Regelung, die das Reiten im Walde grundsätzlich nur auf solchen privaten Straßen und Wegen erlaubt, die als Reitwege gekennzeichnet sind, ist mit § 14 des Bundeswaldgesetzes vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037) vereinbar und verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 6. Juni 1989 |
-- 1 BvR 921/85 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. R... - ... ... |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die landesrechtliche Regelung des Reitens im Walde in Nordrhein-Westfalen.
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I. |
1. Der freie Zugang der erholungsuchenden Bevölkerung
zum Wald ist in Deutschland erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
gesetzlich näher gelegt worden. Die überkommene Reichsgesetzgebung
enthielt ebenso wie die älteren Landesforstgesetze ausdrückliche
Regelungen über den Zugang zum Wald und zur Feldflur - insbesondere auch
über das Reiten im Walde - nur in Gestalt von Verbotsnormen. So
bedrohte § 368 Nr. 9 des Strafgesetzbuchs bis zu seiner Aufhebung durch
das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S.
469) unter anderem denjenigen mit Strafe, der unbefugt "über Schonungen,
welche mit einer Einfriedigung versehen sind oder deren Betreten durch
Warnungszeichen untersagt ist, oder auf einem durch Warnungszeichen
geschlossenen Privatweg geht, fährt, reitet oder Vieh treibt". In
ausdrücklicher Ergänzung hierzu stellte etwa § 8 Abs. 1 des Preußischen
Feld- und Forstpolizeigesetzes (in der Fassung der Bekanntmachung vom
21. Januar 1926 [PrGS. S. 83]) generell das unbefugte Reiten über fremde
Grundstücke unter Strafe.
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Eine positive bundesrechtliche Regelung über den Zugang zum Wald wurde
erstmals in § 14 des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) vom 2. Mai 1975 (BGBl. I
S. 1037) geschaffen, der folgenden Wortlaut hat:
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"§ 14 Betreten des Waldes
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(1) Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet. Das
Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist
nur auf Straßen und Wegen gestattet. Die Benutzung geschieht auf eigene
Gefahr.
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(2) Die Länder regeln die Einzelheiten. Sie können das Betreten des
Waldes aus wichtigem Grund, insbesondere des Forstschutzes, der Wald-
oder Wildbewirtschaftung, zum Schutz der Waldbesucher oder zur
Vermeidung erheblicher Schäden oder zur Wahrung anderer schutzwürdiger
Interessen des Waldbesitzers, einschränken und andere Benutzungsarten
ganz oder teilweise dem Betreten gleichstellen."
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Diese Bestimmung steht im Zweiten Kapitel des Gesetzes, das die
Überschrift "Erhaltung des Waldes" trägt und ausweislich des
einleitenden § 5 nur Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgebung
enthält. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sollten die Länder innerhalb von
zwei Jahren nach Inkrafttreten des Bundeswaldgesetzes den Bestimmungen
dieses Kapitels entsprechende Vorschriften erlassen oder bestehende
Vorschriften anpassen.
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§ 27 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) vom 20. Dezember 1976
(BGBl. I S. 3574) trifft für die Straßen und Wege in der Flur eine
ähnliche Rahmenregelung (vgl. § 4 BNatSchG), wobei das Reiten nicht
ausdrücklich erwähnt wird.
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2. Schon vor der bundesgesetzlichen Regelung hatten sich einzelne
Landesgesetzgeber der Materie angenommen. Die Entwicklung des - hier zur
Prüfung stehenden - nordrhein-westfälischen Landesrechts nahm folgenden
Verlauf:
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Zunächst galt in weiten Landesteilen das Preußische Feld- und
Forstpolizeigesetz weiter, das durch das Feld- und Forstschutzgesetz für
Nordrhein-Westfalen vom 25. Juni 1962 (GVBl. S. 357) abgelöst wurde.
Dieses Gesetz stufte in § 24 Nr. 4 das unbefugte Reiten auf einem Feld-
oder Forstgrundstück "außerhalb der Wege" als Ordnungswidrigkeit ein.
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Das Landesforstgesetz vom 29. Juli 1969 (GVBl. S.
588) brachte sodann eine umfassendere Regelung des Zugangs zum Wald, in
der das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung auf eigene Gefahr
ausdrücklich gestattet (§ 3 des Gesetzes), gleichzeitig aber das Reiten,
soweit dafür nicht eine "besondere Befugnis" vorlag, mit einem
generellen, bußgeldbewehrten Verbot belegt wurde (§ 4 Buchst. e, § 68
Abs. 1 Nr. 1).
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Diese Regelung wurde durch § 36 des Landschaftsgesetzes vom 18. Februar
1975 (GVBl. S. 190; im folgenden: LG 1975) abgelöst. Danach war das
Reiten zum Zwecke der Erholung in der freien Landschaft und im Walde
grundsätzlich auf Straßen und Wegen, aber auch nur auf diesen, gestattet
(§ 36 Abs. 1 Sätze 1 und 2), sofern nicht der Grundstückseigentümer
oder sonstige Berechtigte nach § 38 des Gesetzes den Weg mit vorheriger
Genehmigung der unteren Landschaftsbehörde sperrten. Abweichend hiervon
war in besonderen, durch Verordnung der unteren Landschaftsbehörde
festgelegten Gebieten das Reiten nur insoweit gestattet, als hierfür
eine besondere Befugnis vorlag oder Wege oder sonstige Flächen dafür
besonders bestimmt waren.
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Der damit eingeführte Regeltatbestand wurde für das
Reiten auf privaten Waldwegen durch Art. II Nr. 2 Buchst. a) bis c) des
Gesetzes zur Änderung des Landesforstgesetzes vom 11. März 1980 (GVBl.
S. 214) zum 1. Januar 1981 eingeschränkt. Die zunächst als §§ 36 bis 36b
des Landschaftsgesetzes geschaffene Neuregelung wurde in die
Bekanntmachung der Neufassung des Landschaftsgesetzes vom 26. Juni 1980
(GVBl. S. 734; im folgenden: LG 1980) sachlich unverändert als §§ 50 bis
52 übernommen. Die für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren wesentlichen
Vorschriften der §§ 50, 51 LG 1980 haben (unter Berücksichtigung einer
Änderung des § 51 Abs. 2 Satz 2 durch Gesetz vom 19. März 1985 [GVBl. S.
261]) folgenden Wortlaut:
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"§ 50 Reiten in der freien Landschaft und im Walde
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(1) Das Reiten in der freien Landschaft ist über den Gemeingebrauch an
öffentlichen Verkehrsflächen hinaus auf privaten Straßen und Wegen
gestattet.
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(2) Das Reiten im Walde ist auf den nach den Vorschriften der
Straßenverkehrsordnung als Reitwege gekennzeichneten privaten Straßen
und Wegen (Reitwege) gestattet. Die nach den Vorschriften dieses
Gesetzes gekennzeichneten Wanderwege und Wanderpfade sowie Sport- und
Lehrpfade dürfen nicht als Reitwege gekennzeichnet werden. Die Kreise
und die kreisfreien Städte können im Einvernehmen mit der unteren
Forstbehörde und nach Anhörung der betroffenen Gemeinden Ausnahmen von
Satz 1 zulassen und insoweit bestimmen, daß in Gebieten mit regelmäßig
nur geringem Reitaufkommen auf die Kennzeichnung von Reitwegen
verzichtet wird. In diesen Gebieten ist das Reiten auf allen privaten
Straßen und Wegen, ausgenommen Wege und Pfade im Sinne des Satzes 2,
zulässig. Die Zulassung ist im amtlichen Verkündungsorgan des Kreises
oder der kreisfreien Stadt bekanntzugeben.
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(3) Die Vorschriften des Straßenrechts und des Straßenverkehrsrechts bleiben unberührt.
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(4) bis (5) ...
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(6) Die Befugnis nach den Absätzen 1 und 2 darf nur zu Zwecken der
Erholung ausgeübt werden. Die Ausübung erfolgt auf eigene Gefahr.
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(7) Die Landschaftsbehörden sollen im Zusammenwirken mit den
Forstbehörden, den Gemeinden, den Waldbesitzern und den Reiterverbänden
für ein ausreichendes und geeignetes Reitwegenetz sorgen.
Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte haben die Kennzeichnung
von Reitwegen zu dulden.
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§ 51 Kennzeichnung von Reitpferden, Reitabgabe
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(1) Wer nach § 50 Abs. 1 oder 2 reitet, muß ein am Pferd zu befestigendes Kennzeichen führen.
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(2) Kennzeichen nach Absatz 1 dürfen nur
gegen Entrichtung einer Abgabe ausgegeben werden. Die Abgabe ist für
die Anlage und Unterhaltung von Reitwegen sowie für Ersatzleistungen
nach § 53 Abs. 3 zweckgebunden; sie fließt den höheren
Landschaftsbehörden zu."
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Nach § 70 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 LG 1980 in der Fassung des Gesetzes vom 6.
November 1984 (GVBl. S. 663) sind die Reitbeschränkungen nach § 50 Abs.
1 und 2 sowie die Kennzeichnungspflicht nach § 51 Abs. 1 LG 1980
bußgeldbewehrt.
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II. |
1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer mehrerer Reitpferde,
Freizeitreiter und Vorsitzender einer Reitervereinigung. In den beiden
Ausgangsverfahren wandte er sich ursprünglich gegen zwei Bescheide aus
dem Jahre 1977, mit denen den betroffenen Eigentümern die beantragte
Sperrung bestimmter Wege in der Umgebung Aachens für den Reitverkehr
nach § 38 Abs. 1 Satz 2 LG 1975 genehmigt worden war.
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Das Verwaltungsgericht wies die beiden Klagen als unzulässig ab, weil
der Beschwerdeführer nicht geltend machen könne, durch die erteilten
Genehmigungen in subjektiven Rechten verletzt zu sein. Die Reitbefugnis
nach § 36 LG 1975 verschaffe einem hiervon begünstigten Dritten keinen
rechtlichen Besitzstand in dem Sinne, daß er sich gegen ihre Entziehung
zur Wehr setzen könne.
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Der Beschwerdeführer legte in beiden Fällen Berufung ein. Nach dem
Inkrafttreten des LG 1980 erklärte er in Übereinstimmung mit den
jeweiligen anderen Verfahrensbeteiligten hinsichtlich seines
ursprünglichen Begehrens den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt
und beantragte nunmehr in erster Linie die Feststellung, daß er die
umstrittenen Wege ohne Bindung an das Landschaftsgesetz als Reiter
benutzen dürfe; hilfsweise begehrte er, den beklagten Oberstadtdirektor
zu verpflichten, in dem fraglichen Waldgebiet für ein ausreichendes und
geeignetes Reitwegenetz Sorge zu tragen.
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Das Oberverwaltungsgericht stellte das Verfahren
hinsichtlich des für erledigt erklärten Begehrens ein und wies die neu
erhobenen Anträge ab. Es führte aus, bei den fraglichen Wegen handele es
sich um private Wege, die der Regelung des § 50 LG 1980 unterlägen.
Verkehrszeichen, die das Reiten gestatteten, seien nicht vorhanden. Die
Vorschrift sei mit § 14 BWaldG vereinbar. Der im Berufungsrechtszug
gestellte Hilfsantrag sei als Klageänderung unzulässig.
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2. Mit seinen Revisionen verfolgte der Beschwerdeführer den in beiden
Berufungsverfahren zuletzt gestellten Hauptantrag weiter. Das
Bundesverwaltungsgericht wies die Revisionen mit dem in BVerwGE 71, 324
veröffentlichten Urteil zurück. Zur Begründung führte es aus:
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Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980, die
nach der Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht das Reiten im Walde
auf privaten Straßen und Wegen verbiete, soweit es nicht durch
gestattende Verkehrszeichen erlaubt werde, sei mit § 14 BWaldG
vereinbar. Der Bundesgesetzgeber habe in dieser Bestimmung das Reiten im
Walde lediglich rahmenrechtlich geregelt. Der Landesgesetzgeber sei
deshalb nur verpflichtet gewesen, die in § 14 BWaldG enthaltenen
Grundgedanken zu beachten. Den Ländern sei danach versagt, ein Reiten im
Walde schlechthin zu untersagen oder ungeregelt zu lassen. Dagegen habe
der nordrhein-westfälische Gesetzgeber nicht verstoßen. Er habe sich
zwar in § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 für ein "Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt" entschieden, damit aber nur ein gesetzestechnisches
Mittel gewählt, um vorhandene oder mögliche Gefahren für öffentliche
oder private Interessen wirksam kontrollieren zu können.
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Die Erlaubnis, fremde private Straßen oder private
Wege zu Erholungszwecken zu nutzen, stelle eine Inhaltsbestimmung des
Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Der Gesetzgeber
habe hierbei gegenläufige Interessen zu berücksichtigen. Es sei eine
Frage rechtspolitischer Zweckmäßigkeit, wie der Interessenausgleich
erfolge. Dieser könne auch einer Entscheidung des Einzelfalls
vorbehalten bleiben. Der Bundesgesetzgeber habe den Ländern in § 14 Abs.
2 Satz 1 BWaldG eine bestimmte Regelungsweise nicht vorgeschrieben. Ein
besonders starkes und legitimes Interesse des Bundes an einer
ländereinheitlichen Verwirklichung sei nicht erkennbar und auch durch
die §§ 5 Satz 1, 14 Abs. 2 Satz 1 BWaldG ausdrücklich verneint worden.
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§ 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 stehe auch mit § 27 BNatSchG nicht in
Widerspruch, denn diese Vorschrift enthalte nahezu wortgleich mit § 14
Abs. 2 BWaldG denselben Regelungsvorbehalt zugunsten der
Landesgesetzgebung.
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Die Pflicht zur Kennzeichnung der Reitpferde (§ 51 Abs. 1 LG 1980) und
die damit verbundene Pflicht, eine Abgabe zu entrichten (§ 51 Abs. 2 LG
1980), seien nicht Gegenstand der angefochtenen Urteile und könnten
danach vom Revisionsgericht nicht überprüft werden. Ebensowenig sei
Gegenstand des Revisionsverfahrens die Frage, ob der Beschwerdeführer
einen Anspruch auf die behördliche Ausweisung von Reitwegen habe; das
Berufungsgericht habe eine hierauf gerichtete Klageänderung abgelehnt.
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III. |
Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der
Beschwerdeführer - nach dem Wortlaut seines Antrags - sämtliche
gerichtlichen Entscheidungen des Ausgangsverfahrens sowie mittelbar die
§§ 50, 51 des Landschaftsgesetzes 1980 mit Änderung vom 19. März 1985 in
dem im Rubrum bezeichneten Umfang an.
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1. Der Beschwerdeführer rügt vor allem eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG.
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Er werde durch die Reitregelung in §§ 50, 51 LG 1980
erheblich behindert, weil er nur auf markierten Reitwegen reiten dürfe
und außerdem Kennzeichen für seine Pferde beschaffen und eine Abgabe
entrichten müsse. Dies verstoße gegen das Grundrecht der freien
Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Der Bürger müsse sein
Interesse und seine Freude am Reiten auch im Walde frei entfalten
können. Der ordentliche und gesittete Reiter gefährde keine Rechte
anderer und verstoße nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Den
Belangen, welche die angegriffene Regelung schützen wolle, hätte durch
weniger einschneidende, auf die örtlichen Gegebenheiten abstellende
Reitbeschränkungen ausreichend Rechnung getragen werden können.
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Reiter richteten keine wesentlichen Schäden im Walde an. Das Wild im
Walde werde durch sie nicht gestört. Ebensowenig würden die übrigen
Erholungsuchenden belästigt. Reiter gelangten meistens über die stärker
besuchten Stadtrandgebiete hinaus in einsamere Bezirke. In abgelegenen
Gebieten sei ein Reitverbot ohnehin sinnlos und unangemessen. In
sogenannten Erholungsgebieten der Ballungszentren könne
Interessenkollisionen durch Verbots- oder Reitwegeschilder nach Maßgabe
der Straßenverkehrsordnung entgegengewirkt werden.
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Der Landesgesetzgeber habe außerdem den von § 14
BWaldG gezogenen Rahmen überschritten. Diese Bestimmung enthalte die
Grundentscheidung, daß das Reiten im Walde grundsätzlich erlaubt sei und
nur in genau bestimmten Ausnahmefällen verboten werden dürfe. Es sei
dem Land deshalb verwehrt, seinerseits die genau entgegengesetzte
Wertentscheidung zu normieren. Werde dennoch eine solche Regelung
getroffen, sei diese nach Art. 31 GG unwirksam, so daß ihre Anwendung
das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletze. § 14 BWaldG gehe von einem
Rechtsanspruch des Bürgers aus, den die Länder zwar unter bestimmten
Voraussetzungen einschränken, nicht aber beseitigen und von einem
Ermessensdispens abhängig machen dürften. Letzteres sei aber in § 50
Abs. 2 Satz 1 LG 1980 geschehen. Diese Vorschrift enthalte kein
präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, sondern ein repressives
Verbot mit Befreiungsmöglichkeit. Zudem sei durch die Übertragung der
Kompetenzen zur Kennzeichnung von Wanderwegen im Sinne des § 50 Abs. 2
Nr. 2 Satz 2 LG 1980 an private Organisationen durch § 59 Abs. 2 und 3
LG 1980 in Verbindung mit der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung
die Grundrechtsausübung der Reiter zusätzlich vom guten Willen dieser
Organisationen abhängig gemacht worden. Die ausgewiesenen Reitwege seien
jedenfalls in einem Teil der Kreise und kreisfreien Städte
unzureichend. Dem Beschwerdeführer sei die Möglichkeit genommen, ein
ausreichendes Wegenetz für die Ausübung des Reitens gerichtlich
durchzusetzen. Die Grundrechtsausübung werde damit ohne jeden
Rechtsschutz belassen.
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Die Einführung der Kennzeichnungspflicht und der Abgabe sei ebenfalls
mit § 14 BWaldG unvereinbar. Die Reitbeschränkungen verstießen ferner
gegen die im Straßenverkehrsrecht abschließend geregelte
Kennzeichnungspflicht von Verkehrsteilnehmern und gegen § 1 des
Tierschutzgesetzes, weil die Verweisung der Reiter auf Straßen mit
Beton- und Bitumenbelag ohne vernünftigen Grund den Pferden Schaden und
Schmerzen bereite. Im übrigen bestehe seit alters eine
gewohnheitsrechtliche Befugnis für jedermann, sich auf natürliche Weise
im Walde zu bewegen; hierzu gehöre auch das Reiten.
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2. Zusätzlich rügt der Beschwerdeführer noch folgende Grundrechtsverletzungen:
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Art. 3 GG sei mißachtet, weil den Reitern durch das weitgehende
Reitverbot im Walde Einschränkungen auferlegt würden, die sonstigen
Erholungsuchenden einschließlich der Skiläufer und Wanderer nicht
auferlegt würden.
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Das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) sei
verletzt, weil die Bewegungsmöglichkeit im ganzen Bundesgebiet zu Pferde
zunichte gemacht werde. Distanz- und Wanderritte seien praktisch
ausgeschlossen, denn die Benutzung von Landes- oder gar Bundesstraßen
könne den Reitern aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht zugemutet
werden.
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Ferner sei er in seinem Grundrecht aus Art. 12 GG betroffen. Er könne
sich auf die Verletzung dieses Grundrechts berufen, da er als
Kreisverbandsvorsitzender der Vereinigung der Freizeitreiter in
Deutschland maßgeblich an der Gestaltung und Organisation von
Reitbetrieben und Reitervereinen beteiligt sei.
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Schließlich sei Art. 14 Abs. 2 GG verletzt, denn die Sozialbindung des
Eigentums enthalte das Recht des Reiters, ohne Einschränkung im Wald zu
reiten.
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IV. |
Zu der Verfassungsbeschwerde hat die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen Stellung genommen.
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Sie hält die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde für bedenklich,
soweit sich diese gegen die Entscheidungen in den
verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren und gegen die Regelung des §
50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 richtet. Dem Beschwerdeführer fehle insoweit
das Rechtsschutzinteresse, weil er auf dem eingeschlagenen Weg sein Ziel
ungehinderten Reitens auf den privaten Waldwegen gar nicht erreichen
könne. Denn würden die angegriffenen Gerichtsentscheidungen aufgehoben
und die Nichtigkeit des § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 festgestellt, so
könnte der Waldeigentümer ihn weiter von der Benutzung seiner nicht
ausdrücklich zum Gemeingebrauch gewidmeten Wege allgemein nach §§ 903,
1004 BGB ausschließen.
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Die Verfassungsbeschwerde sei zudem in vollem Umfang unbegründet. Die
Befugnis der Reiter zur Benutzung privater, nicht dem öffentlichen
Verkehr gewidmeter Waldwege für das Gebiet des Landes
Nordrhein-Westfalen sei erst durch § 36 des Landschaftsgesetzes in
seiner ursprünglichen Fassung im Jahre 1975 begründet und schon nach
fünf Jahren durch die nun angegriffene Neufassung des
Landschaftsgesetzes wieder beseitigt worden, weil sich die allgemeine
Freigabe des Reitens auf Waldwegen nicht bewährt habe. Hauptbeweggrund
für die neuerliche Rechtsänderung sei die Erkenntnis des Gesetzgebers
gewesen, daß die gleichzeitige Nutzung der Waldwege durch
erholungsuchende Wanderer und Reiter zu Unzuträglichkeiten führe, weil
sich die Wanderer nicht selten von herannahenden Pferden bedroht fühlten
und weil das Reiten eine Auflockerung des Bodens mit sich bringe, die
das Wandern beeinträchtige oder gar unmöglich mache.
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Die nunmehr getroffene landesrechtliche Regelung sei
mit der bundesrechtlichen Vorgabe des § 14 BWaldG vereinbar, wie schon
das Bundesverwaltungsgericht in seiner hier angegriffenen Entscheidung
erkannt habe. Dessen fachgerichtliche Auslegung des einfachen Rechts sei
für das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der vorliegenden
Urteilsverfassungsbeschwerde grundsätzlich verbindlich. Hinsichtlich der
Regelungen des LG 1980 in § 50 Abs. 2 Satz 2, § 59 (Kennzeichnung der
Wanderwege durch private Organisationen), § 51 Abs. 1
(Kennzeichnungspflicht für Reitpferde) und § 51 Abs. 2 (Abgabe) bestehe
ebenfalls kein Widerspruch zu höherrangigem Recht.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig.
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1. Soweit nach dem in der Verfassungsbeschwerde formulierten Antrag
ausdrücklich auch die erstinstanzlichen Urteile des Verwaltungsgerichts
angegriffen werden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der
Rechtsstreit wegen des Begehrens, mit dem der Beschwerdeführer in diesen
Urteilen abgewiesen worden war, in der Hauptsache für erledigt erklärt
worden ist. Eine etwa erstrebte nachträgliche Feststellung, daß durch
diese Urteile Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden seien,
könnte der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde nicht
erwirken, weil es insoweit an der nach § 90 Abs. 2 BVerfGG
erforderlichen Erschöpfung des Rechtswegs fehlen würde. Dazu hätte er
dieses Begehren zunächst im Ausgangsverfahren mit einem Antrag nach §
113 Abs. 1 Satz 4 VwGO verfolgen müssen.
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2. Der Beschwerdeangriff gegen die Urteile des Oberverwaltungsgerichts
und des Bundesverwaltungsgerichts ist nur insoweit zulässig, als der im
Berufungsverfahren zuletzt gestellte Hauptantrag der Klage (gerichtet
auf die Feststellung, daß der Beschwerdeführer die in Frage stehenden
Wege ohne Bindung an das nordrhein- westfälische Landschaftsgesetz als
Reiter benutzen dürfe) abgewiesen worden ist.
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Den Hilfsantrag (gerichtet auf die Verpflichtung des
beklagten Oberstadtdirektors, in den in Frage stehenden Waldgebieten für
ein ausreichendes Reitwegenetz zu sorgen) hat das
Oberverwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen, weil es darin eine
unzulässige Klageänderung in der Form der Klageerweiterung gesehen hat.
Gegen diese aus prozeßrechtlichen Gründen erfolgte Abweisung des
Hilfsantrags hat der Beschwerdeführer weder im Revisionsverfahren noch
mit der Verfassungsbeschwerde etwas vorgebracht. Selbst wenn man davon
ausgehen würde, daß der Beschwerdeführer den Rechtsweg auch hinsichtlich
des Hilfsantrags erschöpft hätte, wäre die Verfassungsbeschwerde
insoweit jedenfalls nach § 92 BVerfGG unzulässig, weil mit der
Verfassungsbeschwerde gegen die verfahrensrechtliche Begründung der
Abweisung des Hilfsantrags keine verfassungsrechtlichen Beanstandungen
erhoben worden sind.
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3. Auch der mittelbare Angriff auf die Regelungen des Landschaftsgesetzes ist nur beschränkt zulässig.
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a) Die Pflicht zur Kennzeichnung der Reitpferde und die damit verbundene
Erhebung einer Abgabe (§ 51 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 LG 1980) hatte der
Beschwerdeführer zwar im Revisionsverfahren angegriffen. Diese
Regelungen waren jedoch nicht Gegenstand der Berufungsurteile und wurden
deshalb vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht in die
revisionsgerichtliche Überprüfung einbezogen. Soweit das
Bundesverwaltungsgericht zu § 51 LG 1980 Stellung genommen hat, handelt
es sich nicht um eine die Entscheidung tragende Begründung, sondern um
einen ergänzenden Hinweis auf die Rechtsauffassung des Gerichts. Daraus
kann für sich allein keine verfassungsrechtliche Beschwer hergeleitet
werden.
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Unmittelbar gegen die Vorschriften des § 51 LG 1980 kann die
Verfassungsbeschwerde nicht mehr gerichtet werden, weil die Jahresfrist
des § 93 Abs. 2 BVerfGG verstrichen ist. Durch die Änderung des § 51
Abs. 2 im Jahre 1985, mit welcher der Satz 2 der Vorschrift dahin gefaßt
wurde, daß die Abgabe nicht nur - wie bis dahin bestimmt - für die
Unterhaltung von Reitwegen, sondern auch für deren Anlage zu verwenden
ist (Art. I Nr. 25 des Gesetzes zur Änderung des Landschaftsgesetzes vom
19. März 1985 [GVBl. S. 261]), wurde die Frist nicht neu in Lauf
gesetzt. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Einführung der
Abgabepflicht als solche. Diese - in § 51 Abs. 2 Satz 1 LG 1980
enthaltene - Regelung ist durch die Neubeschreibung des
Verwendungszwecks im Änderungsgesetz von 1985 - die im übrigen nur eine
Verdeutlichung gegenüber der früheren Formulierung darstellt - nicht
berührt worden. Daß der Gesetzgeber mit dem Änderungsgesetz auch die
Abgabepflicht als solche erneut in seinen Willen aufgenommen und
bestätigt hat, hat die Frist des § 93 BVerfGG nicht neu in Lauf gesetzt
(vgl. BVerfGE 11, 255 [260]; 43, 108 [116]).
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b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch unzulässig, soweit sie sich gegen
die in § 50 Abs. 2 Satz 2 LG 1980 enthaltene Regelung wendet, nach der
(gekennzeichnete) Wanderwege und Wanderpfade sowie Sport- und Lehrpfade
nicht als Reitwege gekennzeichnet werden dürfen. Weder die
Berufungsurteile noch das Revisionsurteil sind auf diese Vorschrift
gestützt. Grundlage der angegriffenen Urteile ist vielmehr allein § 50
Abs. 2 Satz 1 LG 1980, so daß auch nur hinsichtlich dieser Bestimmung
die mittelbare Gesetzesverfassungsbeschwerde - die auch hier wegen des
Verstreichens der Frist des § 93 Abs. 2 BVerfGG allein in Betracht kommt
- zulässig ist.
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4. Die einzelnen mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen verfassungsrechtlichen Rügen sind ebenfalls nur zum Teil zulässig.
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a) Nach § 92 BVerfGG muß sich aus dem Sachvortrag des Beschwerdeführers
mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, daß die Verletzung des
Grundrechts, auf das er sich beruft, durch die angegriffene Maßnahme
wenigstens möglich erscheint (st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 28, 17 [19]).
Diesen Anforderungen genügt die Rüge einer Verletzung des Art. 11 GG
nicht. Die Freizügigkeit, die dieses Grundrecht gewährleistet, hat das
Recht zum Inhalt, an jedem Orte innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt
und Wohnsitz zu nehmen (vgl. BVerfGE 2, 266 [273]; 43, 203 [211]). Die
Benutzung eines bestimmten Beförderungsmittels und die Bereitstellung
dafür geeigneter Wege wird vom Schutzbereich dieses Grundrechts nicht
umfaßt.
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b) Zu der auf Art. 12 GG gestützten Rüge ist nicht dargetan, daß der
Beschwerdeführer selbst in diesem Grundrecht verletzt sein könnte (Art.
93 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer
bezeichnet sich ausdrücklich als Freizeitreiter. Auch seine Ausführungen
zu den von ihm im Zusammenhang mit seinen Vereinsämtern wahrgenommenen
Aufgaben ergeben nicht, daß er diese Betätigung im Sinne einer
Berufstätigkeit zur Grundlage seiner Lebensführung gemacht hätte (vgl.
zu diesem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfGE 30, 292 [334]).
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c) Eine Verletzung des Art. 14 GG hat der Beschwerdeführer ebenfalls nicht in zulässiger Weise geltend gemacht.
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Auf Art. 14 Abs. 2 GG kann er sich zur Begründung einer grundrechtlich
geschützten Befugnis des Reitens auf privaten Waldwegen nicht berufen.
Durch diese Verfassungsnorm werden nicht unmittelbar Dritten, die von
der Sozialbindung des Eigentums begünstigt werden, verfassungsmäßige
Rechte eingeräumt. Die Ausgestaltung der Eigentumsordnung ist dem
Gesetzgeber überlassen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), der dabei einen
weiten Gestaltungsbereich besitzt (vgl. BVerfGE 21, 73 [83]). Subjektive
Rechtspositionen Dritter können insoweit erst nach Maßgabe der
Vorschriften entstehen, die der Gesetzgeber aufgrund der "Richtschnur"
(BVerfGE, a.a.O., S. 83) des Art. 14 Abs. 2 GG erlassen hat.
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d) Unzulässig ist schließlich die - im Rahmen der Rüge einer Verletzung
des Art. 2 Abs. 1 GG erhobene - Beanstandung, § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980
verstoße gegen § 1 des Tierschutzgesetzes. Insoweit sind die
Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde ergeben (vgl. BVerfGE 79, 174 [189 f.]), nicht
erfüllt. Der Beschwerdeführer hat im Ausgangsverfahren - insbesondere
auch vor dem Bundesverwaltungsgericht - nur gerügt, § 50 LG 1980 sei mit
§ 14 BWaldG und § 27 BNatSchG unvereinbar. Im übrigen würde diese Rüge
auch nicht den Anforderungen nach § 92 BVerfGG genügen, denn ein
Widerspruch zwischen der angegriffenen Regelung und § 1 des
Tierschutzgesetzes scheidet offensichtlich aus.
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5. Es verbleibt danach der Angriff auf die Abweisung des Hauptantrags
der Klage in den Berufungsurteilen und im Revisionsurteil sowie
mittelbar die verfassungsrechtliche Beanstandung des § 50 Abs. 2 Satz 1
LG 1980, gestützt auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, wobei mit der
ersteren Rüge sowohl die materielle Verfassungswidrigkeit der
Reitbeschränkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 als auch deren formelle
Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen § 14 BWaldG und § 27
BNatSchG geltend gemacht wird.
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In diesem Umfang ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
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Die Auffassung der Landesregierung, der Verfassungsbeschwerde fehle
insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, weil selbst im Falle ihres Erfolges
der Freiheitsraum des Beschwerdeführers wegen der bestehenbleibenden
Rechte der Waldeigentümer nicht erweitert werden würde, trifft nicht zu.
Sofern der Beschwerdeführer aufgrund einer Rechtsnorm - sei es
unmittelbar aufgrund von Art. 2 Abs. 1 GG oder aufgrund einer Vorschrift
des einfachen Bundesrechts, die nach Art. 31 GG die Vorschrift des § 50
Abs. 2 Satz 1 LG 1980 brechen würde - zum Reiten auf privaten Waldwegen
befugt wäre, könnte dadurch zugleich die privatrechtliche
Rechtsstellung des Waldeigentümers im entsprechenden Umfang
eingeschränkt sein. Der Inhalt des (Grundstücks-)Eigentums wird (auch in
seiner abwehrrechtlichen Komponente gegenüber privaten Dritten) nach
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG im einzelnen erst durch die einfache
Rechtsordnung ausgestaltet. Das Eigentum ist auch als "Recht eines
anderen" im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG keine unveränderliche Größe. Es
kann damit nicht als grundrechtsimmanente Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG
in dem Sinne angesehen werden, daß über seinen Inhalt ein bereits
festliegender Bereich verfassungskräftig von vornherein der
Freiheitssphäre aller übrigen Rechtsgenossen entzogen wäre.
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Auch wenn aber die private Rechtsmacht des Eigentümers, den
Beschwerdeführer von der Benutzung der ihm gehörenden Waldwege
auszuschließen, im Falle der Nichtigkeit des § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980
fortbestünde, enthielte diese Vorschrift eine weitergehende, die
Grundrechtssphäre des Beschwerdeführers berührende Beeinträchtigung,
weil es sich um ein öffentlich-rechtliches Reitverbot handelt, das
selbst mit der Zustimmung der Eigentümer nicht entfallen würde und das
überdies bußgeldbewehrt ist (§ 70 Abs. 1 Nr. 7 LG 1980 in der Fassung
des Gesetzes vom 6. November 1984 [GVBl. S. 663], vorher § 70 Abs. 1 Nr.
9).
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C. |
Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet.
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I. |
Der Beschwerdeführer ist durch die angegriffenen Entscheidungen und die
zugrundeliegende Vorschrift des § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 nicht in
seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
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1. a) Nach den in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätzen gewährleistet Art. 2
Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne (st.
Rspr. seit BVerfGE 6, 32 [36]; aus neuerer Zeit etwa: BVerfGE 74, 129
[151]; 75, 108 [154 f.]). Geschützt ist damit nicht nur ein begrenzter
Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen
Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die
Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. etwa die Entscheidung eines
Vorprüfungsausschusses in BVerfGE 54, 143 (146) - Taubenfüttern).
Abgesehen von einem absolut geschützten Kernbereich privater
Lebensgestaltung, welcher der Einwirkung der öffentlichen Gewalt
entzogen ist (BVerfGE 6, 32 [41]), ist die allgemeine Handlungsfreiheit
allerdings nur in den Schranken des zweiten Halbsatzes von Art. 2 Abs. 1
GG gewährleistet und steht damit insbesondere unter dem Vorbehalt der
verfassungsmäßigen (Rechts-)Ordnung (BVerfGE 6, 32 [37 f.]; 74, 129
[152]). Stützt sich ein die Handlungsfreiheit berührender Akt der
öffentlichen Gewalt auf eine Rechtsnorm, so kann mit der
Verfassungsbeschwerde unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG zur
Nachprüfung gestellt werden, ob diese Norm zur verfassungsmäßigen
Ordnung gehört, das heißt formell und materiell mit den Normen der
Verfassung in Einklang steht (st. Rspr. seit BVerfGE 6, 32).
|
Danach ist die Norm nicht nur materiell an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen,
sondern sie ist auch auf ihre Verfassungsmäßigkeit in sonstiger Hinsicht
zu untersuchen. Insoweit ist insbesondere auch zu prüfen, ob die
Regelung den Kompetenzvorschriften der Verfassung entspricht (BVerfGE
11, 105 [110]; 29, 402 [408]; 75, 108 [146, 149]). Sofern es sich um
eine landesrechtliche Norm handelt, ist neben den Kompetenzfragen im
Hinblick auf Art. 31 GG zusätzlich zu prüfen, ob die landesrechtliche
Norm inhaltlich mit (seinerseits kompetenzgemäß erlassenem) Bundesrecht -
auch mit Bundesrahmenrecht - vereinbar ist (BVerfGE 51, 77 [89 f., 95,
96]; vgl. auch BVerfGE 7, 111 [118, 119]).
|
In materieller Hinsicht bietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den
Maßstab, nach dem die allgemeine Handlungsfreiheit eingeschränkt werden
darf (BVerfGE 17, 306 [314]; 55, 159 [165]; 75, 108 [154 f.]). Sofern
eine bestehende Befugnis nachträglich beseitigt wird, muß der nach dem
Rechtsstaatsgrundsatz gebotene Vertrauensschutz gewahrt bleiben (BVerfGE
74, 129 [152]). Darüber hinaus muß den Anforderungen genügt sein, die
sich aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (BVerfGE 49, 89 [126
f.]) ergeben (vgl. dazu auch BVerfGE 6, 32 [42]; 20, 150 [157 f.]).
|
b) Gegen die dargelegte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
sind in der Literatur bis in die Gegenwart Bedenken erhoben worden (vgl.
etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik
Deutschland, 16. Aufl., Rdnrn. 426 ff.; umfassende Nachweise aus
zurückliegender Zeit bei Scholz, AöR 100 (1975), S. 80 ff.). Sie richten
sich insbesondere gegen die unbegrenzte Einbeziehung jeder menschlichen
Betätigungsform in den Schutzbereich des Grundrechts, die im Vergleich
zu den sonstigen grundrechtlich geschützten Bereichen zu einem
"wertsystematisch überhöhten" Schutz führe (vgl. Scholz, a.a.O., S. 82
f., m. w. N.), andererseits aber durch die mit der Ausweitung des
Schutzbereichs verbundene weite Einschränkungsmöglichkeit den
Grundrechtsschutz leerlaufen lasse (Hesse, a.a.O., Rdnr. 426). Die
danach befürwortete Einengung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG
könnte im vorliegenden Fall Bedeutung erlangen, weil es zweifelhaft ist,
ob das Reiten auf privaten Waldwegen der in einem engeren Sinne
verstandenen Persönlichkeitsentfaltung zugerechnet werden könnte.
|
Eine Einengung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG, abweichend von
der bisherigen Rechtsprechung, ist jedoch nicht gerechtfertigt. Ihr
stünde nicht nur die Entstehungsgeschichte der Grundrechtsnorm entgegen
(vgl. BVerfGE 6, 32 [39 f.]). Der umfassende Schutz menschlicher
Handlungsfreiheit erfüllt neben den benannten Freiheitsrechten auch eine
wertvolle Funktion in der Freiheitssicherung, denn trotz der weiten
Beschränkungsmöglichkeiten gewährleistet das Grundrecht nach den
dargelegten Maßstäben einen Schutz von substantiellem Gewicht. Jeder
Versuch einer wertenden Einschränkung des Schutzbereichs würde danach zu
einem Verlust des Freiheitsraums für den Bürger führen, der nicht schon
deshalb geboten sein kann, weil andere Grundrechte einen engeren und
qualitativ abgehobenen Schutzbereich haben, und für den auch sonst keine
zwingenden Gründe ersichtlich sind. Eine Einschränkung etwa auf die
Gewährleistung einer engeren, persönlichen, wenn auch nicht auf rein
geistige und sittliche Entfaltung beschränkten, Lebenssphäre oder nach
ähnlichen Kriterien würde überdies schwierige, in der Praxis kaum
befriedigend lösbare Abgrenzungsprobleme mit sich bringen.
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2. Das Reiten fällt als Betätigungsform menschlichen Handelns in den
Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, gehört aber nicht zum Kernbereich
privater Lebensgestaltung. Es ist danach gesetzlichen Beschränkungen
nicht grundsätzlich entzogen. Die mittelbar angegriffene Vorschrift des §
50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 beschränkt die Befugnis zum Reiten im Walde in
verfassungsmäßiger Weise.
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Die Vorschrift steht als landesrechtliche Norm nicht in Widerspruch zu
den bundesrechtlichen Vorschriften des § 14 BWaldG sowie des § 27
BNatSchG.
|
a) Bei der Entscheidung dieser Frage ist das Bundesverfassungsgericht
nicht darauf beschränkt, die Auslegung der bundesrechtlichen
Vorschriften durch die Fachgerichte im Ausgangsverfahren nach den
Grundsätzen zu überprüfen, die zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle
der Anwendung einfachen Rechts in gerichtlichen Entscheidungen
entwickelt worden sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Diese Grundsätze
würden dazu führen, daß die Prüfung der Gültigkeit der landesrechtlichen
Norm, die in der Entscheidung mittelbar erfolgen muß, nur bedingt
vorgenommen werden könnte: Würde in einem weiteren Fall ein Fachgericht
die bundesrechtliche Norm anders auslegen, was ihm - sofern das
Bundesverfassungsgericht über die Auslegung nicht selbst entschieden hat
- nicht verwehrt werden könnte, so müßte dann die landesrechtliche Norm
erneut, möglicherweise mit anderem Ergebnis, daran gemessen werden. Das
wäre mit dem Sinn der Normenkontrolle, auch einer nur mittelbaren,
nicht vereinbar. Die Entscheidung, ob die landesrechtliche Norm gültig
ist oder nicht, muß endgültig sein; damit muß auch der Prüfungsmaßstab -
hier also der Inhalt der bundesrechtlichen Regelung - feststehen.
Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Art. 100
Abs. 1 Satz 2 (2. Alternative) GG bei der Prüfung von Landesrecht am
Maßstab des Bundesrechts die bundesrechtlichen Normen ständig selbst
ausgelegt (BVerfGE 25, 142 [149 ff.]; 66, 270 [282 ff.]; 66, 291 [307
ff.]). Ein sachlicher Grund, bei der Inzident-Normenkontrolle anders zu
verfahren, ist nicht ersichtlich.
|
Auch im Rahmen eines Verfassungsbeschwerde-Verfahrens muß danach, wenn
mittelbar die Vereinbarkeit einer landesgesetzlichen Norm mit einer
bundesrechtlichen Vorschrift zu prüfen ist, die Norm des Bundesrechts
vom Bundesverfassungsgericht zur Ermittlung des Prüfungsmaßstabs selbst
ausgelegt werden (vgl. auch BVerfGE 51, 77 [90 ff., insbesondere S.
92]).
|
b) Der Wortlaut des § 14 BWaldG könnte dahin
verstanden werden, daß das Betreten des Waldes bereits durch Abs. 1 Satz
1 dieser Vorschrift grundsätzlich gestattet und den Ländern - nach Abs.
2 - nur noch erlaubt sein sollte, aus wichtigem Grunde Einschränkungen
des Grundsatzes normativ festzulegen. Hinsichtlich des Reitens müßte das
gleiche gelten, wenn es als Unterfall des Betretens anzusehen wäre.
Aber auch wenn das Reiten als "andere Benutzungsart" im Sinne von § 14
Abs. 2 Satz 2 BWaldG anzusehen wäre, würde sich am Ergebnis im Grundsatz
nichts ändern. Die "Gleichstellung" anderer Benutzungsarten gemäß § 14
Abs. 2 Satz 2 BWaldG würde sich dann sowohl auf die grundsätzliche
Gestattung wie auch auf die Ausnahmebefugnis der Länder beziehen. Sie
könnte sinnvollerweise zwar nicht bedeuten, daß die Regelungen
hinsichtlich sämtlicher Benutzungsarten völlig deckungsgleich sein
müßten, soweit andere Benutzungsarten überhaupt einbezogen werden. Von
der Regelungssystematik her müßten aber die Vorschriften über das
Betreten und diejenigen über andere Benutzungsarten einander
entsprechen.
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Eine solche Auslegung des § 14 BWaldG - die nach dem Wortlaut der
Vorschrift nicht zwingend ist - scheidet jedoch unter Berücksichtigung
des rahmenrechtlichen Charakters der Vorschrift und ihrer
Entstehungsgeschichte aus.
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aa) § 14 BWaldG enthält keine für den Bürger unmittelbar verbindlichen
Rechtssätze; Normadressaten sind vielmehr allein die Länder, die zum
Erlaß entsprechender Außenrechtssätze verpflichtet werden. Zwar könnte
die Vorschrift nach ihrer sprachlichen Fassung auch als Außenrechtssatz
verstanden werden, so daß Landesrechtsnormen nicht mehr zu ihrer
Umsetzung, sondern nur noch zu ihrer Ergänzung ergehen könnten. Eine
solche Deutung stünde aber in Widerspruch zur systematischen Stellung
der Vorschrift. Nach § 5 Satz 1 BWaldG sind die Vorschriften des Zweiten
Kapitels des Bundeswaldgesetzes, zu denen § 14 gehört,
Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgebung. Nach § 5 Satz 2 BWaldG
sollen die Länder (innerhalb einer Frist von zwei Jahren) "den
Bestimmungen dieses Kapitels entsprechende" - und nicht etwa diese
ergänzende - Regelungen erlassen. Mit dieser Formulierung hat der
Bundesgesetzgeber klargestellt, daß es sich bei den nachfolgenden
"Rahmenvorschriften" nur um Richtlinien für den Landesgesetzgeber
handeln soll. Dem steht nicht entgegen, daß der Begriff der
Rahmenvorschriften in Art. 75 GG nicht in diesem engeren technischen
Sinn verstanden werden darf, weil der Bundesgesetzgeber in Wahrnehmung
der ihm dort eingeräumten Kompetenz neben Richtlinien für den
Landesgesetzgeber auch einzelne unmittelbar geltende Bestimmungen
erlassen darf (vgl. BVerfGE 4, 115 [130]). Daß gerade auch die
Vorschrift des § 14 Abs. 1 BWaldG lediglich als Richtlinie für den
Landesgesetzgeber gelten soll, wird im übrigen nochmals gesondert durch
den Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 BWaldG hervorgehoben, wonach die
Länder die Einzelheiten regeln. Sollte der Inhalt des § 14 Abs. 1 BWaldG
unmittelbar geltendes Recht sein, so hätte die Formulierung dahin
lauten müssen, daß die Länder ergänzende Bestimmungen treffen können.
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bb) Auch die Entstehungsgeschichte des § 14 BWaldG bestätigt, daß der
Vorschrift insgesamt lediglich ein rahmenrechtlicher Charakter zukommt.
|
Der Regierungsentwurf zum Bundeswaldgesetz war als (auf Art. 74 Nrn. 1,
17, 18 und 24 GG gestützte) Vollregelung ausgestaltet und sah in § 12
Abs. 2 vor, daß das Reiten, Fahren, Zelten und Abstellen von Wohnwagen
im Wald nur gestattet sein solle, soweit hierfür eine besondere Befugnis
vorliegt oder Wege und sonstige Flächen dazu besonders bestimmt sind
(BTDrucks. 7/889, S. 8). Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen
hielt der federführende Bundestagsausschuß für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten (10. Ausschuß) am Konzept der Vollregelung fest, schlug
aber inhaltlich für das Reiten im Walde eine reiterfreundlichere
Regelung vor. Nach § 12 Abs. 2 a Satz 1 der vom Ausschuß empfohlenen
Fassung sollte das Reiten im Walde nur auf Straßen und Wegen gestattet
sein, womit erstmals die später in § 14 Abs. 1 Satz 2 Gesetz gewordene
Formulierung erschien; abweichend hiervon sollte nach § 12 Abs. 2 a Satz
2 des Vorschlags in Waldgebieten, die sich durch eine besondere
Erholungsfunktion für die Gesamtbevölkerung, ein regelmäßiges oder
starkes Reitaufkommen mit den damit verbundenen Schädigungen und
Beeinträchtigungen oder den Aufenthalt besonders schutzbedürftiger Tiere
auszeichneten, das Reiten nur auf den hierfür besonders bestimmten
Wegen und Flächen oder aufgrund besonderer Befugnis gestattet sein (vgl.
BTDrucks. 7/ 2727, S. 15). Mit dieser Fassung, die der Bundestag in
seiner Sitzung vom 14. November 1974 - nunmehr als § 13 Abs. 3 - als
Gesetz beschloß (vgl. BRDrucks. 776/74, S. 4), wäre ein gebietsbezogenes
Regel-Ausnahme-Verhältnis für das Reiten auf den privaten Waldwegen
unmittelbar im Bundesrecht festgeschrieben worden.
|
Die Regelung scheiterte jedoch am Bundesrat, der den
Vermittlungsausschuß anrief (vgl. BRDrucks. 776/74 [Beschluß]) und sich
im anschließenden Verfahren mit seinem Antrag zur Schaffung des späteren
§ 5 BWaldG (Umwandlung in eine rahmenrechtliche Regelung) durchsetzte.
|
cc) Der Charakter einer Norm als Rahmenvorschrift
spricht im Zweifel dafür, daß sie auf eine Ausfüllung angelegt ist und
daß die Gesetzgebungskompetenz der Länder dadurch nicht weiter
eingeschränkt werden soll, als dies der Wortlaut der Rahmenvorschrift
zwingend erfordert (vgl. BVerfGE 25, 142 [152]; 67, 1 [12]). Nach dieser
Auslegungsregel ist § 14 Abs. 1 Satz 2 BWaldG in Verbindung mit Abs. 2
Satz 1 der Vorschrift so zu verstehen, daß der Landesgesetzgeber das
Reiten im Walde nur auf Straßen und Wegen gestatten darf, innerhalb
dieses Rahmens aber die Einzelheiten selbst regeln kann. Bei einer
Regelung, die das Reiten innerhalb des vorgegebenen Rahmens einschränkt,
muß er sich zwar an die dafür in § 14 Abs. 2 Satz 2 BWaldG angeführten
Gesichtspunkte halten, da die Vorschrift auch insoweit eine Richtlinie
für ihn bildet. Eine Bindung an eine bestimmte Regelungssystematik,
insbesondere im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses, kann der
Rahmenvorschrift dagegen nicht entnommen werden. Sie steht danach auch
nicht einer Regelung entgegen, die zum Schutze der Waldbesucher eine
Trennung des Erholungsverkehrs von Reitern und sonstigen
Erholungsuchenden herbeiführt und die Reiter auf besondere Reitwege
verweist, wie dies in § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 geschehen ist.
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c) § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 steht auch nicht in Widerspruch zu § 27
BNatSchG. Das folgt bereits daraus, daß § 14 BWaldG für das Reiten im
Walde innerhalb der bundesrechtlichen Rahmenregelung des Naturschutzes
eine Sonderregelung trifft, so daß § 27 BNatSchG insoweit - unabhängig
davon, ob man den Wald (vgl. die Begriffsbestimmung in § 2 BWaldG)
überhaupt unter den Begriff der Flur, auf die sich § 27 BNatSchG
bezieht, einordnen könnte - nicht anwendbar ist. Im übrigen könnte auch
eine Prüfung am Maßstab des § 27 BNatSchG zu keinem für den
Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis führen als diejenige am Maßstab
des § 14 BWaldG, weil beide Vorschriften in ihrem sachlichen Inhalt
übereinstimmen.
|
3. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 Satz 1 LG 1980 genügt ferner den
Maßstäben, die sich für Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit
nach Art. 2 Abs. 1 GG unmittelbar aus der Verfassung ergeben.
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a) Die angegriffene Regelung entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
|
Sie ist auf eine durchgehende Trennung des "Erholungsverkehrs" im Walde
in der Weise angelegt, daß den Reitern einerseits und den sonstigen
Erholungsuchenden (vor allem Fuß- und Radwanderern) andererseits jeweils
getrennte Wege zugewiesen werden. Wie die Landesregierung dargelegt
hat, wollte der Gesetzgeber damit in erster Linie die Gefahren und
sonstigen Beeinträchtigungen vermeiden, welche sich für erholungsuchende
Wanderer aus einer Begegnung mit Pferden und aus der mit dem Reiten
verbundenen Auflockerung des Waldbodens ergeben. Damit hat er einen
Zweck verfolgt, der nicht nur als Gemeinwohlbelang verfassungsrechtlich
legitim ist, sondern dessen Rechtfertigung sich auch unmittelbar aus
Art. 2 Abs. 1 GG ableiten läßt. Indem er mit der Trennung von Reitern
und anderen Erholungsuchenden versucht hat, verschiedene
Betätigungsformen der allgemeinen Handlungsfreiheit in ein geordnetes
Nebeneinander zu bringen, hat er sich einer Aufgabe unterzogen, die in
der Grundrechtsnorm selbst angelegt und in Art. 2 Abs. 1 GG mit dem
Hinweis auf die Rechte anderer vorgezeichnet ist.
|
Daß der Gesetzgeber bei dieser Zielsetzung offensichtlichen
Fehleinschätzungen erlegen sei, ist nicht feststellbar. Er konnte sich
auf die unter der Geltung der früheren Regelung gewonnenen Erfahrungen
stützen. Die Landesregierung hat in diesem Zusammenhang nachvollziehbar
dargelegt, daß die Begegnungen mit Pferden bei vielen Erholungsuchenden
ein Gefühl der Bedrohung schafft und daß durch Reiter, besonders auf
engeren Waldwegen, ernsthafte Gefahrensituationen für Fußgänger
entstehen können. Letztlich hat dies der Beschwerdeführer selbst
eingeräumt, wenn er Interessenkollisionen zwischen Reitern und anderen
Erholungsuchenden in der Nähe von Ballungsgebieten unterstellt. Seine
Behauptung, für die meisten Erholungsuchenden sei es eine Freude, Pferde
in der Bewegung in freier Natur anzusehen, kann jedenfalls nicht bei
einer Begegnung auf engem Raum gelten.
|
Die Regelung ist offensichtlich geeignet, den verfolgten Schutzzweck zu
erreichen. Dadurch, daß die Reiter auf besondere Wege verwiesen werden,
werden die gemeinsame Nutzung von Waldwegen durch Wanderer und Reiter
und damit die sich hieraus für die Wanderer ergebenden Gefahren und
Unzuträglichkeiten von vornherein vermieden.
|
Die Trennung von Reitverkehr und sonstigem "Erholungsverkehr" im Wald
genügt auch dem Gebot der Erforderlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht
kann sich insoweit darauf beschränken, die vom Beschwerdeführer
aufgezeigten und die sonst in Fachkreisen diskutierten Alternativen
darauf zu prüfen, ob sie den erstrebten Zweck in einfacherer, gleich
wirksamer, aber die Grundrechte weniger fühlbar einschränkender Weise
erreichen könnten (BVerfGE 77, 84 [109]). Ein milderes Mittel, mit
welchem die beiden verfolgten Teilziele (Schutz des Wanderers vor der
Tiergefahr und Erhaltung eines für das Wandern geeigneten Wegezustandes)
in einer vergleichbar wirksamen Weise erreicht werden könnten, ist
weder vom Beschwerdeführer vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
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Schließlich ist die Regelung im engeren Sinne verhältnismäßig. Auch in
diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, daß sich die beiden
Gruppen, deren konkurrierende Nutzungsinteressen das Gesetz zum
Ausgleich bringen will, nämlich Wanderer und Reiter, gleichermaßen auf
Art. 2 Abs. 1 GG berufen können. Bei der Trennung des Erholungsverkehrs
mußte der Gesetzgeber die konkurrierenden Nutzungsansprüche an das
vorhandene Wegenetz in einer den Interessen aller Beteiligten gerecht
werdenden Weise ordnen. Daß er dabei diese Trennung durch Ausgrenzung
der Reitwege aus der Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden privaten
Waldwege und nicht etwa umgekehrt durch eine Ausgrenzung besonderer
Wanderwege vorgenommen hat, ist nicht zu beanstanden. Angesichts der
gegenüber den Wanderern geringeren Zahl der Reiter und der von diesen
beanspruchten intensiveren Bodennutzung kann hierin eine Verfehlung des
dem Gesetzgeber aufgetragenen gerechten Interessenausgleichs nicht
gesehen werden. Das gilt um so mehr, als den Landschaftsbehörden nach §
50 Abs. 7 LG 1980 ausdrücklich aufgetragen ist, für ein ausreichendes
und geeignetes Reitwegenetz zu sorgen.
|
b) Die angegriffene Vorschrift genügt den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ergeben.
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Eine die Handlungsfreiheit einschränkende Vorschrift
darf nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht so
unbestimmt sein, daß das Verbot einer Betätigung praktisch in das
unüberprüfbare Ermessen der Verwaltung gestellt wird (vgl. BVerfGE 6, 32
[42 f.]). Zu diesem Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in
seinem Urteil zum Sammlungsgesetz (BVerfGE 20, 150) ausgeführt, der
Gesetzgeber dürfe zwar die Ausübung von Handlungsbefugnissen durch die
Einführung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt überwachen (BVerfGE,
a.a.O., S. 154 f.). Er müsse dann aber die Voraussetzungen für die
Erteilung der Erlaubnis festlegen und dem Grundrechtsträger bei deren
Erfüllung einen Rechtsanspruch auf diese einräumen; denn er müsse im
Bereich der Grundrechtsausübung die Rechtssphäre, die der staatlichen
Eingriffsmöglichkeit offenliege, selbst abgrenzen und dürfe dies nicht
dem Ermessen der Verwaltungsbehörde überlassen (BVerfGE, a.a.O., S. 155,
157 f.). Insoweit ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes (vgl. BVerfGE 49, 89
[126 f.]) berührt.
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Dem Begriff des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, den auch das
Bundesverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren für die Regelung des § 50
Abs. 2 Satz 1 LG 1980 verwendet hat, entspricht die angegriffene
Regelung jedenfalls in dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten
Sinne nicht. Im Wege eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt wäre jedoch
das verfassungsrechtlich legitime Ziel einer Trennung des
Erholungsverkehrs nicht erreichbar. Die Zuordnung der einzelnen Wege
setzt jeweils eine ordnungspolitische Entscheidung voraus, die einer
konkreten normativen Vorherbestimmung und der Einräumung eines
Rechtsanspruchs auf Zuweisung bestimmter Wege an die Reiter nicht
zugänglich ist. Die Entscheidung, welche Waldwege aufgrund einer Ordnung
des gesamten Erholungsverkehrs im Wald schließlich im einzelnen als
Reitwege zur Verfügung stehen sollen, erweist sich nach § 50 Abs. 2 Satz
1 in Verbindung mit § 50 Abs. 7 Satz 1 LG 1980 letztlich als Akt
staatlicher (Wege-)Planung. Der Landesgesetzgeber hat damit bezüglich
des Reitens im Walde einen Regelungsansatz gewählt, der für andere
qualifizierte Betätigungsnormen der Fortbewegungsfreiheit - wie etwa den
Kraftfahrzeugverkehr - bereits geläufig ist. Derartige Planungsakte
können nicht im Wege eines Konditionalprogramms normativ vorherbestimmt
werden. Jedoch bietet insoweit das planerische Abwägungsgebot einen
sachgerechten Maßstab, der es erlaubt, die sich aus den konkreten
Verhältnissen ergebenden öffentlichen Interessen und die privaten
Belange der betroffenen Eigentümer in einen gerechten Ausgleich zu
bringen. Für die hier in Rede stehende, den Landschaftsbehörden durch §
50 Abs. 7 Satz 1 LG 1980 ausdrücklich zur Pflicht gemachte Planung und
Verwirklichung eines Reitwegenetzes gilt insoweit nichts anderes als für
die Planung sonstiger Verkehrswege wie etwa öffentlicher Straßen (vgl.
dazu BVerfGE 79, 174 [198 f.]). Bei der Entscheidung, welche privaten
Waldwege als Reitwege ausgewiesen und damit nach der Konzeption des
Gesetzes zugleich den Wanderern entzogen werden sollen, müssen sich die
hierzu berufenen Behörden mit einer Vielzahl berechtigter Interessen
auseinandersetzen. Regelmäßig werden zumindest das Interesse der Reiter
an einem möglichst umfassenden Reitwegenetz und das entgegengesetzte
Interesse der Wanderer, daneben aber auch das Interesse des
Grundstückseigentümers an der Erhaltung und an der ungestörten eigenen
Nutzung seines Weges berührt und gegenwärtig abzuwägen sein. Das
sachliche Gewicht jedes einzelnen dieser Belange kann sich von Fall zu
Fall unterschiedlich darstellen.
|
Eine sachgerechte Bewältigung dieser Konflikte entzieht sich einer
detaillierten Regelung durch das Gesetz. Eine solche kann danach auch
unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes von Verfassungs
wegen nicht verlangt werden. Denn dieser Grundsatz darf nicht dazu
führen, daß der Gesetzgeber auf eine Regelung, die er zur Erreichung
eines verfassungsrechtlich legitimen Ziels für geboten hält (und halten
darf), verzichten müßte (vgl. auch BVerfGE 58, 300 [346]).
|
c) Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bestehen gegen die
angegriffene Regelung ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Gesetzgeber ist im Rahmen des Verhältnismäßigen grundsätzlich auch
zu einer Verengung bereits bestehender Schranken der allgemeinen
Handlungsfreiheit befugt. Die frühere Regelung des LG 1975, die das
Reiten auf Waldstraßen und -wegen im Grundsatz erlaubte, galt nur fünf
Jahre. Ihr war eine Regelung vorausgegangen, nach der das Reiten im
Walde grundsätzlich verboten war (§ 4 Buchst. e des Landesforstgesetzes
von 1969). Auch für die weiter zurückliegende Zeit ist eine Befugnis zum
Reiten im Walde weder gesetzlich eingeräumt gewesen, noch ist eine
gewohnheitsrechtliche Reitbefugnis - die im übrigen sowohl der Bundes-
wie der Landesgesetzgeber im Rahmen ihrer jeweiligen Sachkompetenz
hätten abschaffen können - feststellbar (vgl. auch BayVfGH 28, 107 (120)
m. w. N.). Angesichts der Unzuträglichkeiten, die ein gemischter
Erholungsverkehr unter Einschluß der Reiter mit sich bringt, mußte damit
gerechnet werden, daß sich der Gesetzgeber durch die mit dem Gesetz von
1975 gewonnenen Erfahrungen veranlaßt sehen konnte, die Regelung wieder
zu Lasten der Reiter zu ändern. Schon im Hinblick auf die kurze Geltung
der gesetzlichen Freigabe aller Waldwege für Reiter konnten diese nicht
auf den gesicherten Fortbestand dieser Regelung vertrauen. Im übrigen
wären die Gründe, welche die angegriffene Regelung verfassungsrechtlich
legitimieren, ausreichend, um auch einen etwa in Betracht kommenden
Vertrauensschutz zurücktreten zu lassen.
|
II. |
Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG
scheidet aus. Der vom Beschwerdeführer gezogene Vergleich der Reiter mit
anderen Erholungsuchenden im Walde scheitert daran, daß von Reitern
wesentlich größere Gefährdungen und Belästigungen ausgehen können als
von anderen Erholungsuchenden und daß deren Zahl diejenige der Reiter
erheblich übersteigt. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden
Gruppen - auch hinsichtlich des Umfangs der zur Verfügung gestellten
Wege - entbehrt daher nicht eines sachlichen Anknüpfungspunktes.
|
Herzog, Niemeyer, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich |
Abweichende Meinung des Richters Grimm zum Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 1989 - 1 BvR 921/85 - |
Das Reiten im Walde genießt keinen Grundrechtsschutz.
Die Grundrechte unterscheiden sich von der Vielzahl sonstiger Rechte
dadurch, daß sie Integrität, Autonomie und Kommunikation des Einzelnen
in ihren grundlegenden Bezügen schützen. Eben wegen dieser fundamentalen
Bedeutung ihres Schutzobjekts für eine auf die Menschenwürde gegründete
Ordnung werden sie aus der Menge der Rechte hervorgehoben und
verfassungsrechtlich mit erhöhten Garantien gegenüber der öffentlichen
Gewalt, insbesondere mit Bindungswirkung für den Gesetzgeber,
ausgestattet. Dabei können die Auffassungen darüber, was den
gesteigerten Schutz der Grundrechte im einzelnen verdient, nach den
historischen Umständen wechseln. Es ist aber weder historisch noch
funktional der Sinn der Grundrechte, jedes erdenkliche menschliche
Verhalten unter ihren besonderen Schutz zu stellen.
|
Ein solcher lückenloser Grundrechtsschutz für jede beliebige menschliche
Tätigkeit wird auch nicht durch Art. 2 Abs. 1 GG vermittelt. Art. 2
Abs. 1 GG schützt nicht die Freiheit des Einzelnen, zu tun und zu
lassen, was er will, sondern die freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Damit hat dieses Grundrecht zwar einen weiten, aber keinen grenzenlosen
Schutzbereich. Vielmehr muß das individuelle Verhalten, das mangels
spezieller Grundrechtsgarantien den Schutz von Art. 2 Abs. 1 GG
beanspruchen will, eine gesteigerte, dem Schutzgut der übrigen
Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung
besitzen. Wo diese Relevanz fehlt, fehlt auch der Grund für den
besonderen, gerade durch die Grundrechte bewirkten Schutz, und es hat
bei den Regelungen und Rechtsbehelfen des einfachen Rechts sein
Bewenden.
|
Aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ergibt sich entgegen
verbreiteter Ansicht nicht, daß mit Art. 2 Abs. 1 GG etwas anderes
gemeint war. Zwar hatte der Redaktionsausschuß des Parlamentarischen
Rats in Anlehnung an die Formulierung des Herrenchiemsee-Entwurfs die
Fassung vorgeschlagen: "Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu
lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."
Verfassungsrecht wurde jedoch gerade nicht diese Formel, sondern unter
Abkehr von der unspezifischen Handlungsfreiheit die Fassung des
Hauptausschusses, in der das beliebige Verhalten des Einzelnen durch das
"Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" ersetzt war,
weil die Formulierung des Redaktionsausschusses nach Ansicht der
Mehrheit das Gemeinte sprachlich nicht angemessen ausdrückte (vgl. JöR
N.F. Bd. 1, S. 55 ff.; Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen,
1976, S. 51 ff.).
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Wenn das Bundesverfassungsgericht im Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32) dieses
Recht wieder in die Befugnis, zu tun und zu lassen, was man will,
zurückverwandelte, so scheinen dafür zwei Beweggründe maßgeblich gewesen
zu sein: zum einen der Umstand, daß über einen nicht unbedeutenden
Freiheitsanspruch zu entscheiden war, der sich keinem speziellen
Grundrecht, insbesondere nicht Art. 11 GG, zuordnen ließ, sondern, wenn
überhaupt, nur als Teil der Persönlichkeitsentfaltung Grundrechtsschutz
genoß; zum anderen der Umstand, daß sich das Gericht bei der Auslegung
von Art. 2 Abs. 1 GG vor die Alternative gestellt sah, unter freier
Entfaltung der Persönlichkeit entweder "die menschliche
Handlungsfreiheit im weitesten Sinn" oder "den Schutz eines Mindestmaßes
dieser Handlungsfreiheit ..., ohne das der Mensch seine Wesensanlage
als geistig-sittliche Person überhaupt nicht entfalten kann" (BVerfGE,
a.a.O., S. 36), zu verstehen.
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Auf diese Alternative beschränken sich die Auslegungsmöglichkeiten
indessen nicht. Mit der berechtigten Ablehnung der sogenannten
Persönlichkeitskerntheorie, die seinerzeit vor allem von Peters
(Festschrift für Laun, 1953, S. 669) vertreten wurde und den
Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG demjenigen des Art. 1 Abs. 1 GG
weitgehend annäherte, ist nicht bereits die Entscheidung zugunsten der
allgemeinen Handlungsfreiheit gefallen. Vielmehr öffnet sich zwischen
dem unantastbaren Persönlichkeitskern einerseits und der allgemeinen
Handlungsfreiheit andererseits eine Zone von Freiheitsbetätigungen, die
zwar nicht den Schutz spezieller Grundrechte gefunden haben, für die
Persönlichkeitsentfaltung aber gleichwohl von erheblicher Bedeutung
sind. Hier findet Art. 2 Abs. 1 GG das ihm eigene Anwendungsfeld (vgl.
Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland,
16. Aufl., 1988, Rdnr. 428).
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Dafür liefert das Elfes-Urteil selber einen Beleg. Dem Gericht ging es
hier weniger um die Begründung der allgemeinen Handlungsfreiheit als um
die Ableitung eines konkreten Freiheitsrechts, nämlich der
Ausreisefreiheit, für die die allgemeine Handlungsfreiheit nur das
notwendig erscheinende Begründungsglied bildete. In Fortsetzung dieser
Rechtsprechung hat das Gericht Art. 2 Abs. 1 GG nach und nach mit einer
Anzahl konkreter Freiheitsgarantien gefüllt, die in der Regel gar nicht
mehr auf die allgemeine Handlungsfreiheit zurückgeführt, sondern
unabhängig davon unter Berufung auf Art. 1 Abs. 1 GG gewonnen wurden.
Dabei handelt es sich in erster Linie um das allgemeine
Persönlichkeitsrecht mit seinen verschiedenen Garantiebereichen (vgl.
BVerfGE 54, 148 [154] m. w. N., sowie den Überblick bei Jarras, NJW
1989, S. 857), ferner in Weiterentwicklung des Persönlichkeitsrechts um
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65, 1) und
jüngst das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung (BVerfGE 79, 256).
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Zur Begründung dieser aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten konkreten
Grundrechtspositionen hat das Bundesverfassungsgericht stets auf ihre
Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung abgestellt (vgl. Scholz, AöR
100, S. 80, 265). Auf diese Weise ist es ihm auch gelungen, mit
neuartigen Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung Schritt zu halten,
wie sie insbesondere vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt
ausgehen. Art. 2 Abs. 1 GG erweist sich hier gerade in seiner
unspezifischen Formulierung als Grundrecht, das für die Anpassung des
Persönlichkeitsschutzes an wechselnde Bedingungen besonders offen ist
und daher Lücken zu schließen vermag, die den speziellen
Freiheitsrechten unzugänglich bleiben (vgl. BVerfGE 54, 148 [153]).
Insofern kann Art. 2 Abs. 1 GG in der Tat als "Auffanggrundrecht"
betrachtet werden, jedoch nicht als Auffanggrundrecht, das jede
erdenkliche menschliche Betätigung, die nicht schon von einem
Spezialgrundrecht geschützt wird, unter Grundrechtsschutz stellt,
sondern als Auffanggrundrecht für "konstituierende Elemente der
Persönlichkeit" (BVerfGE, a.a.O.), die nicht den Schutz spezieller
Freiheitsrechte gefunden haben.
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Neben diesen konkreten Persönlichkeitsrechten hielt das
Bundesverfassungsgericht allerdings an der allgemeinen Handlungsfreiheit
als Schutzgut von Art. 2 Abs. 1 GG fest, ohne stets klarzumachen, daß
es sich um zwei ganz verschiedene Stränge ein und desselben Grundrechts
handelt. Von diesen beiden verdient freilich nur der konkrete
persönlichkeitsrechtliche Strang die Bezeichnung Grundrecht. Die
allgemeine Handlungsfreiheit ist dagegen eines spezifisch
grundrechtlichen Schutzes gar nicht zugänglich (vgl. Schmidt, AöR 106,
S. 497). Wenn jedes Verhalten Grundrechtsschutz genießt, ohne deswegen
doch schrankenlos erlaubt sein zu können, verwandelt sich die allgemeine
Freiheitsgarantie in das Recht, vom Staat nicht rechtswidrig an der
Betätigung des eigenen Willens gehindert zu werden. In dieser
Eigenschaft subjektiviert Art. 2 Abs. 1 GG aber das vom Grundgesetz nur
objektiv gewährleistete Rechtsstaatsprinzip und wird in Wahrheit zur
allgemeinen Eingriffsfreiheit.
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Die Konsequenzen dieses Grundrechtsverständnisses liegen vor allem auf
verfassungsprozessualem Gebiet. Gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die
allgemeine Handlungsfreiheit im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung,
weitet sich die auf dieses Grundrecht gestützte Verfassungsbeschwerde
tendenziell zur allgemeinen Normenkontrolle aus. Zur verfassungsmäßigen
Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG zählt das Bundesverfassungsgericht
nämlich seit dem Elfes-Urteil jede mit der Verfassung übereinstimmende
Rechtsnorm (vgl. BVerfGE 6, 32 [37 f.]). Aus diesem Grund muß bei
Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit die zugrundeliegende Norm
in vollem Umfang, also unter Einschluß der Staatszielbestimmungen, der
übrigen Grundrechte sowie sämtlicher Kompetenz- und
Verfahrensvorschriften, an der Verfassung gemessen werden.
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Eine derartige Kontrollbreite geht zwar mit jeder
zulässigen Verfassungsbeschwerde einher, denn der Einzelne braucht sich
Grundrechtseingriffe nur auf gesetzlicher Grundlage gefallen zu lassen,
und als ausreichende Eingriffsgrundlage gilt allein dasjenige Gesetz,
welches formell und materiell mit der Verfassung in Einklang steht. Doch
können Verfassungsbeschwerden außerhalb von Art. 2 Abs. 1 GG nur in
bestimmten, thematisch umgrenzten Bereichen erhoben werden und
regelmäßig nur Gesetze erfassen, die sich gerade auf das betroffene
Grundrecht auswirken. Ein vom Schutzbereich her unbegrenztes Grundrecht
auf beliebiges Verhalten hebt dagegen diese Beschränkung auf und läßt
die Selbstbetroffenheit des Beschwerdeführers durch einen belastenden
staatlichen Akt ausreichen, um mittels der Verfassungsbeschwerde den
vollen Umfang der Normenkontrolle zu eröffnen.
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Daher sollte diese vom Grundgesetz nicht vorgesehene Banalisierung der
Grundrechte und die damit verbundene Ausuferung der
Verfassungsbeschwerde rückgängig gemacht werden. Das erscheint um so
leichter möglich, als Art. 2 Abs. 1 GG inzwischen mit einer Anzahl
konkreter Freiheitsgarantien angereichert ist und für zusätzlich nötige
Freiheitssicherungen offen bleibt. Freiheitseinbußen, wie der Senat sie
befürchtet, sind demgegenüber nicht zu erwarten, denn die allgemeine
Handlungsfreiheit besteht nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung
und wird also in Tätigkeitsbereichen, die ohne Gewicht für die
Entfaltung der Persönlichkeit sind, den Freiheitsraum des Einzelnen
ohnehin nicht über das gesetzliche Maß hinaus erweitern können. Dem
Beschwerdeführer, der eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG rügt,
erwächst also lediglich eine Begründungslast dafür, daß er nicht in
irgendeinem, sondern gerade in einem persönlichkeitsrelevanten Verhalten
beschränkt wurde.
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Entscheidende Bedeutung gewinnt dann freilich die Ermittlung der Grenze
zwischen Freiheitsbetätigungen, die für die Entfaltung der
Persönlichkeit gewichtig sind, und solchen, die nicht mehr zu ihr
gehören. Daß ein Verzicht auf den Grundrechtsschutz der allgemeinen
Handlungsfreiheit eine derartige Grenzziehung erforderlich macht, ist
allerdings noch kein Einwand gegen die Respezifizierung von Art. 2 Abs. 1
GG. Denn Grenzbestimmungen sind beim Schutzbereich jedes Grundrechts
erforderlich und können unter Umständen erhebliche Schwierigkeiten
bereiten, wie nicht allein die Garantie der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs.
3 GG zeigt. Wenn gerade im Blick auf diese Schwierigkeiten und im
Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes die
Schutzbereichsdefinition in der Verfassungsrechtsprechung großzügig
gehandhabt wird, so spricht nichts dagegen, bei Art. 2 Abs. 1 GG ebenso
zu verfahren. Es besteht aber kein Grund, sie hier völlig fallen zu
lassen.
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Anhaltspunkte für die Grenzziehung ergeben sich vor allem aus den
benannten Freiheitsrechten. Den Schutzobjekten, auf die diese
Grundrechte sich beziehen, müssen die Schutzgüter, die von Art. 2 Abs. 1
GG erfaßt sind, an Bedeutung für die personale Freiheit gleichkommen.
Im Kern wird es sich dabei stets um Lebensbereiche oder Verhaltensweisen
handeln, deren beliebige Regulierbarkeit durch den Staat die Autonomie
des Einzelnen gefährdete und damit einem System Vorschub leistete, das
nicht mehr beanspruchen könnte, auf die Achtung der Menschenwürde
gegründet zu sein. Eine abschließende Aufzählung scheitert am Wandel der
Bedingungen für die Persönlichkeitsentfaltung (vgl. BVerfGE 54, 148
[153]). Daß gleichwohl keine unerfüllbaren Anforderungen erhoben werden,
hat das Bundesverfassungsgericht mit den bisher schon vorgenommenen
Konkretisierungen von Art. 2 Abs. 1 GG gezeigt. An diesem
Begründungsstandard müssen sich auch andere Freiheitsansprüche, die in
den Schutz von Art. 2 Abs. 1 GG einbezogen werden sollen, messen lassen.
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Das Reiten im Walde wird diesen Anforderungen ebensowenig gerecht wie
etwa das Taubenfüttern in öffentlichen Anlagen (so aber BVerfGE 54,
143). Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß das Recht auf die freie
Entfaltung der Persönlichkeit nicht vor dem Bereich der Freizeit Halt
machen kann, sondern hier angesichts der Verkürzung der Wochen- und
Lebensarbeitszeit bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebensdauer eine
zunehmend wichtige Verwirklichungsmöglichkeit findet. Damit steht aber
noch nicht jede Modalität, die sich diesem Lebensbereich zuordnen läßt,
unter Grundrechtsschutz. Die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen
hängt nicht von der Möglichkeit ab, im Walde zu reiten. Die
Verfassungsbeschwerde war daher nicht zurückzuweisen, weil §§ 50 und 51
des nordrhein-westfälischen Landschaftsgesetzes, gegen die sie sich
mittelbar richtete, mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar waren, sondern weil
sie den Schutzbereich dieses Grundrechts gar nicht berührten.
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Grimm |